ChatGPT: A revolution
Im November 2022 wurde die sprachbasierte Anwendung ChatGPT gelauncht. Der Chatbot kann Texte erstellen, aber auch Programmcode analysieren und schreiben. Im Jänner 2023 hatte ChatGPT laut einer UBS-Studie bereits 100 Millionen monatliche Nutzer*innen und ist damit die schnellst wachsende User-App aller Zeiten. Grund genug für die Österreichische Computer Gesellschaft (OCG), sich am 1. März 2023 beim Think-Tank Webinar „Allheilmittel oder Tsunami? Wie sehr krempelt ChatGPT die Informatik um?“ intensiv mit dem KI-Phänomen zu befassen.
OCG-Webinar zu Chancen und Risiken des KI-Phänomens ChatGPT
Wolfgang Pree (Professor für Softwaretechnik Universität Salzburg), Stefan Koch (Vizerektor Johannes Kepler-Universität Linz, JKU), Harald Leitenmüller (CTO Microsoft Österreich) und Elmar Pichl (Leiter der Hochschulsektion im Bildungsministerium) begaben sich unter der Moderation von OCG-Präsident Wilfried Seyruck auf eine Spurensuche nach möglichen Szenarien. Fast 170 Teilnehmer*innen verfolgten das Live-Format und sorgten im Anschluss für eine rege Diskussion.
Revolutioniert ChatGPT die Informatik und läutet das Ende des Programmierens ein? Welche Implikationen für die Informatik(-Ausbildung) gehen damit einher? Und welche Fähigkeiten brauchen Menschen in Zukunft, um von den neu geschaffenen Möglichkeiten zu profitieren? Diesen und vielen weiteren Fragen gingen die Experten beim OCG Think Tank Webinar nach. Wolfgang Pree warnte allerdings davor, rasche Antworten zu erwarten: „Derzeit können wir nur Wegweiser suchen. Wirkliche Antworten werden wir vielleicht erst in zehn Jahren haben.“ Der Softwartechnik-Professor beleuchtete in seinem Eingangs-Statement die Entwicklung künstlicher neuronaler Netzwerke und zeigte eindrücklich, dass deren Größe und die Quantität der Daten ihre Performance wesentlich verbessern.
Quantensprung in neue Gründerzeit
Während ChatGPT ursprünglich zum Sprachverstehen trainiert wurde, hat es nicht zuletzt aufgrund seiner Größe unerwartete Fähigkeiten – etwa in Bezug auf das Ziehen logischer Schlüsse – entwickelt. Oder, wie es Sektionschef Elmar Pichl formulierte: „ChatGPT ist massiv disruptiv!“ Wie jede revolutionäre Technologie birgt auch ChatGPT Chancen und Risiken. „Ich erwarte eine neue Gründerzeit infolge der enormen Produktivitätssteigerung durch die Automatisierung“, prognostizierte Wolfgang Pree. Damit einher geht aber auch eine enorme Verantwortung, die Microsoft mit seinem „Responsible AI Standard“ aktiv wahrnimmt. „Fairness, Inklusion und Demokratisierung sind dabei bestimmende Parameter und dürfen angesichts der exponentiellen Entwicklung im Feld der Künstlichen Intelligenz keinesfalls vernachlässigt werden“, betonte CTO Harald Leitenmüller. „Denn mit ChatGPT ist ein Quantensprung gelungen, den wir eigentlich erst für 2030 erwartet hätten.“ Den potenziellen neuen Anwendungen sind praktisch keine Grenzen gesetzt. Zuletzt wurde sogar bereits die erste parlamentarische Anfrage zu den Auswirkungen von OpenAI-Tools an das Bildungsministerium gestellt, die allein von ChatGPT verfasst wurde, erklärte Sektionschef Pichl. Dementsprechend müssen Politik und Wissenschaft einen Mittelweg zwischen notwendiger Regulierung und dem vorschnellen Abwürgen von Innovationen finden.
Europa mit Aufholbedarf
Microsoft selbst hat sich mit milliardenschweren Investitionen in OpenAI, den Entwickler von ChatGPT, international in die Poleposition gebracht. Gemeinsam mit und exklusiv für OpenAI entwickelte man einen der fünf weltgrößten Super Computer mit knapp 300.000 CPUs, der dafür verwendet wird, die KI-Modelle von OpenAI zu trainieren. „Die Infrastruktur in Europa hinkt den aktuellen Entwicklungen leider hinterher. Wir sind derzeit gar nicht in der Lage, KI-Modelle zu trainieren oder sie kommerziell nutzbar zu machen“, zeigte Harald Leitenmüller ein akutes Problem auf. 73 % der weltweiten KI-Infrastruktur ist in den USA, 17 % in China beheimatet, die übrigen 10 % verteilen sich auf den Rest der Welt. Dementsprechend waren sich alle Experten einig, dass Europa – und speziell auch Österreich – alles tun müssen, um international nicht weiter ins Hintertreffen zu geraten.
Alles neu in Forschung und Lehre?
Vizerektor Stefan Koch betonte, dass sich aktuell alle Fakultäten der Johannes Kepler Universität intensiv mit ChatGPT beschäftigen: „Diese Entwicklung geht uns alle an und macht es notwendig, unsere Prüfungsformate und Lehrinhalte zu hinterfragen. Deshalb brauchen wir aber keine neuen Studienprogramme, denn die Lehre muss sich ohnehin dauernd an aktuelle Entwicklungen anpassen.“ In dieselbe Kerbe schlug auch Elmar Pichl: „Was wir statt Schnellschüssen oder übereilten Verboten brauchen, ist eine massiv ruhige Hand“, betonte der Sektionschef im Bildungsministerium. Dementsprechend erfreut zeigte er sich über erste Rückmeldungen aus der österreichischen Hochschulgemeinde, die sich geschlossen gegen Verbote ausspricht. „Viel wichtiger ist es, die neuen Möglichkeiten klug zu nutzen und dabei immer auch die soziale Komponente mitzudenken. Fragen von Ethik und Teilhabe sowie eine breite Unterstützung für die Lehrenden sind ganz entscheidend“, appellierte er für eine nachhaltige Transformation der Begleitprozesse. Wie sehr der universitäre Bereich von ChatGPT transformiert wird, belegte auch eine Anekdote von Harald Leitenmüller. Seine Student*innen waren im letzten Semester entspannt wie nie zuvor. Der Grund? Sie hatten ChatGPT nach den wahrscheinlichen Prüfungsfragen ihres Universitäts-Lektors gefragt.
KI als Co-Pilot für Programmierer*innen
Doch zu guter Letzt ist die Antwort von ChatGPT immer nur so klug wie die Frage, die man an den Chatbot richtet. „Die Anwendung nutzt einen Wahrscheinlichkeitsfaktor. Setzt man die erlaubte Abweichung auf null, erhält man als Ergebnis nur bestätigte Fakten“, erklärte Harald Leitenmüller. Welche Auswirkungen die KI bereits heute auf die Software-Entwicklung hat, zeigen aktuelle Daten von GitHub. 88 % der Programmierer*innen gaben an, mit dem „Co-Piloten“ beim Programmieren bessere Ergebnisse zu erzielen. 74 % sagten, dass sie sich dadurch in ihrem Job wohler fühlen. Dennoch werden weder GitHub noch ChatGPT in absehbarer Zukunft das Ende des Programmierens einläuten, wie es manche bereits prophezeien, vermutete Wolfgang Pree. Doch die Richtung, in die es gehen wird, scheint klar vorgezeichnet. „Die Auswirkungen von ChatGPT auf die Informatik, aber auch auf unser aller Leben kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden“, resümierte Wilfried Seyruck. „Die OCG wird das ihre dazu tun, Ängste in Bezug auf die neue Technologie abzubauen und so viele Menschen wie möglich an sie heranzuführen. Das führt zu mehr Zufriedenheit und schlussendlich zu mehr Produktivität.“
Autor: Franz-Georg Lachner